Jaques Berque, Der Koran neu gelesen, Frankfurt/Main 1996. (zuerst erschienen als Relire le Coran, Paris: Albin Michel 1993; Übersetzung: Monika Gronke)

Berques Ansatz der Heiligen Schrift gegenüber zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass er mit seiner strukturellen Lesung die kanonischen Lesarten der traditionellen Orientalistik zu durchbrechen bemüht ist, wodurch er für den oberflächlichen Blick verborgene Zusammenhänge und Ordnungsmuster aufzuzeigen kann. Damit erhält die Oberfläche der Textstruktur den Charakter eines Schleiers, der sowohl Sinn und Struktur verbirgt. Seinen prinzipiellen Standpunkt formuliert er auf Seite 33 folgendermaßen:

„Die Orientalistik, die dem Text des Korans mit den herkömmlichen Methoden des Historizismus untersuchte, hat sich meiner Ansicht nach ein wenig zu sehr auf die zeitliche Abfolge seiner Herabsendung konzentriert. […] Dieser Blickwinkel ging von den Erkenntnissen der vergleichenden Religionswissenschaft aus, wie sie sich seit Strauss und Renan entwickelt hat. Ich bin allerdings nicht sicher, ob er dieser Botschaft völlig angemessen ist: zum einen in Anbetracht der Ordnung innerhalb der Textfassung, die wir ernstnehmen müssen, da es ja buchstabengetreu diejenige ist, die sich die islamische Offenbarung selbst gegeben hat und die uns, zumindest grundsätzlich, Auskunft gibt über die ursprüngliche Systematik des Islams selbst, die wir vernünftigerweise nicht durch die unsrige ersetzen sollten; zum anderen wegen des Einheitscharakters der ursprünglichen Verkündigung. Kann man wirklich behaupten, daß in der Materie die Einheit nicht ebenso anfänglich wie nachfolgend vorhanden war, nicht ebenso am Beginn wie am Ende stand?“ (Berque 33 f.)

Seinem Ansatz folgend schließt er ebenso inhaltliche wie formelle Analysen (bis auf die Ebene der Lexeme; Phonetik) ein. Dazu passt dann auch Navid Kermanis Untersuchung zum ästhetischen Erleben des Koran …

Zum Muṣḥaf: „Auf diese Weise wird noch heute die gesamte Botschaft des Islam ebenso durch die menschliche Stimme [Rezitation; Installation Oliver Schneller] des Einzelnen oder der Gemeinschaft als Trägerin des menschlichen Atems weitergegeben wie durch die Schrift als visueller, wenn auch indirekter Interpretin […]“ (32)

Regula Forster, Methoden mittelalterlicher arabischer Qur’ānexegese am Beispiel von Q 53, 1-18, Berlin: Klaus Schwarz Verlag 2001.

Norman Calder, Tafsir from Tabari to Ibn Kathir. Problems in the Description of a Genre […], In: Hawting/Shareef, Approaches tot he Qur’ān, London/New York 1993.

Forster wendet die vier von Calder herausgearbeiteten Kriterien auf die von ihr untersuchten Exegesen an. Besonders interessant ist das vierte Kriterium: Zitierung namentlicher Autoritäten + polyvalente Lesung des Koran; mit Forster ist allerdings zwischen Prinzip und Norm zu unterscheiden:

„Calders polyvalente Lesung wurde in dieser Arbeit beschrieben als implizites und explizites Oder. Diese Methode, den heiligen Text als „unausschöpfbar“ (Michel, Alieniloquium, 1987) darzustellen, ihm unzählige mögliche Interpretationen zuzuschreiben, wird in der Mehrheit der Texte angewendet, wenn auch der Anwendungsgrad erheblich variiert. Während das Prinzip bei as-Suyūtī (15. Jh.; ergänzende Angaben!!!) auf die Spitze getrieben wird, indem die zahlreichen Auslegungen ganz ohne Kommentar nebeneinander stehen, sind andere Autoren darauf bedacht jeweils eine bestimmte Interpretation als die einzig richtige zu präsentieren. So kennt z.B. al-Qummī (10. Jh.) das exegetische Oder gar nicht.“ (Forster, 122)

agenda I

broken synapses steht für die Suche nach den unterbrochenen (verlorenen) Verbindungen, die dem Bewusstsein entzogenen Möglichkeiten des Spiels, der Sinndeutung.